Beim Muharrem- Fasten handelt es sich um eine 12-tägige Trauerzeit, während derer Alevitinnen und Aleviten der grausamen Geschehnisse in der Stadt Kerbela 680 n. Chr. gedenken, bei denen neben vielen anderen auch der Imam Hüseyin, eine zentrale Figur innerhalb der alevitischen Glaubenslehre, ums Leben kam.
Hüseyin, ein Nachkomme der Familie des Propheten Mohammed (ehl-i beyt), wurde von der Omaijaden-Dynastie unter der Führung von Yezit, ermordet, da diesem der Einsatz Hüseyins gegen die Gewaltherrschaft der Omaijaden missfiel. Da in der Folge aus den gleichen Gründen auch weitere Nachkommen der Prophetenfamilie umgebracht wurden, erstreckt sich das Muharrem-Fasten nunmehr auf 12 Tage, entsprechend der Zahl der Nachkommen Mohammeds, den sogenannten „12 Imamen“.
Die Trauerzeit des Muharrem-Fastens gibt Alevitinnen und Aleviten Raum, den Leidensweg der Imame mit besonderem Augenmerk auf das Martyrium des Imam Hüseyin, innerlich nachzuvollziehen. Es wird gefastet und auch in jeglicher anderer Hinsicht versucht, die Fähigkeit der Zurücknahme und des „Maßhaltens“ in sich zu stärken.
Das Martyrium Hüseyins, seine hervorragende und vorbildliche Form der „Zivilcourage“ als einzelne Person gegen die damals herrschenden sozialen Ungerechtigkeiten der politischen Führung Yezits hör- und sichtbar Einspruch zu erheben, spielt auch heute noch bei der Erziehung von Alevitinnen und Aleviten eine zentrale Rolle. Der entschiedene Widerstand Hüseyins gegen Ungerechtigkeit wird als Bild zur Vermittlung ethischer Grundwerte genommen, unter denen „Zivilcourage“ für Alevitinnen und Aleviten eine der bedeutendsten ist.
Das Massaker von Kerbela wurde von einem einzigen der Kinder Hüseyins überlebt: (Imam) Zeynel Abidin war aufgrund einer Krankheit, an der er zu jener Zeit litt, nicht in die Geschehnisse von Kerbela involviert und entging so schicksalsbedingt dem Tode.
Die Zeit des Muharrem-Fastens ist deshalb auch die Zeit, in der Alevitinnen und Aleviten ihrer Dankbarkeit Ausdruck verleihen, dass Zeynel verschont wurde. Nach alevitischem Glauben ist die Nachkommenschaft Alis (dem geistigen Mittelpunkt der Prophetenfamilie), und damit auch dessen heilige Kraft und Befähigung zur Weitergabe des heiligen Wissens, auf Zeynel übergegangen.
Im Gegensatz zu den Schiiten, fügen sich Alevitinnen und Aleviten während des Muharrems keine körperlichen Schmerzen zu und stellen das Martyrium von Kerbela auch nicht als Schauspiel dar. Im Alevitentum geht es während des Muharrems weniger um ein äußeres, vielmehr um ein inneres Nachvollziehen der Geschehnisse. Durch eine solche verinnerlichte Haltung soll dem/der Einzelnen ermöglicht werden, sich auf seinem/ihrem eigenen Weg zur charakterlichen Vervollkommnung weiterzuentwickeln.
Dass es sich dabei eben um ein Angebot und nicht um die zwanghafte „Abarbeitung“ einer religiösen Pflicht handelt, zeigt u.a. der Umstand, dass das Fasten innerhalb eines gewissen Rahmens den individuellen Lebensumständen des/der Einzelnen angepasst werden kann.
Nach dem 12-tägigen Fasten wird Aşure (Süßspeise) gekocht und als Symbol der Dankbarkeit im familiären und nachbarschaftlichen Umfeld verteilt und gemeinsam gegessen. Alevitinnen und Aleviten bringen damit ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, dass Zeynel Abidin, der Sohn von Imam Hüseyin, aufgrund seiner Krankheit das Massaker von Kerbela überlebt hat.
Aşure ist eine aus zwölf verschiedenen Zutaten bestehende Süßspeise. Die Zutaten können variieren, aber es müssen insgesamt zwölf an der Zahl sein, denn diese symbolisieren die 12 Imame. Verwendet werden in der Regel Weizen, Bohnen, Saubohnen, Kichererbsen, Kastanien, Haselnüsse, Pistazien, Mandeln, Sultaninen, Feigen, Aprikosen und Walnüsse.
Die alevitischen Gemeinden verteilen die Süßspeise Aşure in ihren Städten am Marktplatz oder an einer anderen geeigneten Stelle an die Passanten und geben über ihre Glaubensgemeinschaft Auskunft.
Quelle: AABF
Bild: İbrahim Yıldırım
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